Unnötige Machtdemonstration der Gemeinde gegen eine schwerbehinderte Mieterin

In Blog by Johann G. Böhmer

Fehlendes Augenmaß legt die Gemeinde bei ihrer Klage gegen ihre schwerbehinderte Mieterin, die Rollstuhlfahrerin Frau Concetta Tatti, an den Tag. Der Prozess läuft in erster Instanz nun schon über 2 ½ Jahre. Über den Fall haben seit August sowohl die Presse wie auch der BR in der Sendung „quer“ berichtet:

Faktencheck hat sich entschlossen, der Sache nachzugehen und hat daher dem Ersten Bürgermeister und allen Mitgliedern des Gemeinderates in einer Mail vom 15.9.2020 einige Fragen gestellt.

Zentrale Frage ist, ob den Entscheidern im Rathaus die Vorschrift des § 554 a BGB bekannt ist, die einem behinderten Mieter einen Anspruch gegen den Vermieter auf Zustimmung zu einer behindertengerechten Nachrüstung der Mietwohnung (und des Zugangs zu ihr) gibt. Die Antworten sind bis 29.9.2020. erbeten. Das Ergebnis der Befragung wird ab dem 30.9.2020 auf der website von Faktencheck dargestellt.

Der Termin für den Eingang der Antworten ist bewusst auf einen Zeitpunkt nach dem am 24.9.2020, also übermorgen zu erwartenden Urteilsspruch des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck gelegt, um der Entscheidung des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck nicht vorgreifen zu müssen.

Nach Information von Faktencheck hat der von Frau Tatti beauftragte Fachbetrieb die Holzabdeckung übrigens schwimmend, also ohne Verbindung mit dem Erdboden verlegt. Daher kann die Holzabdeckung nach dem Mietende von Frau Tatti leicht ausgebaut und wieder mitgenommen werden. Das zu tun, hat Frau Tatti schon lange zugesagt. Überdies gibt § 554 a Abs. 3 BGB dem Vermieter in solchen Fällen gegen die Mieterin/den Mieter einen Anspruch auf Stellung einer Kaution für den Rückbau. Frau Tatti würde eine solche Kaution sicher problemlos stellen.

Über den konkreten Fall hinaus stellt sich die Frage, ob eine Kommune, die eine staatlich geförderte EG-Wohnung mit einer Terrassentür an einen Rollstuhlfahrer vermietet, nicht verpflichtet werden sollte, die Terrasse auf eigene Kosten vollflächig rollstuhlgerecht auszurüsten – auf welche Weise auch immer – oder jedenfalls eine solche Nachrüstung für den Bedarfsfall vorzuhalten. Man könnte dies auch in den Förderbestimmungen verankern und zwänge die Kommunen damit von vorneherein, entsprechend zu planen und zu bauen.

Und noch eine weitere Information: Frau Tatti ist seit vielen Jahren aktives Mitglied im örtlichen Arbeitskreis für Leben ohne Barriere (LOB). Das geht aus einem Foto auf der website der Gemeinde Gröbenzell hervor.

https://www.groebenzell.de/familie-soziales/arbeitskreise-stiftungen/lob-arbeitskreis-leben-ohne-barrieren/ueber-den-lob.html

Der Arbeitskreis LOB wurde 2010 gegründet und ist Nachfolger des früheren Arbeitskreises „Menschen mit Behinderung“. Alle Mitglieder des Arbeitskreises, somit auch Frau Tatti, arbeiten laut website der Gemeinde ehrenamtlich.

Das harte Vorgehen der Gemeinde ist somit auch ein Schlag ins Gesicht aller in der Gemeinde ehrenamtlich tätigen Personen.

Anhang:

Mail Johann G. Böhmer/gröbenzell-faktencheck.de vom 15.9.20, 15:33 h an Herrn Bürgermeister Schäfer und an alle Mitglieder des Gemeinderates:

Betreff: Zivilrechtsstreit Gde. Gröbenzell ./. Concetta Tatti

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Schäfer,
sehr geehrte Damen und Herren des Gemeinderats Gröbenzell,

es geht um den Rechtsstreit zwischen der Mieterin in der gemeindlichen Wohnanlage Grünfinkenstr. 14, Frau Conchetta Tatti, und der Gemeinde, in dem die Gemeinde den sofortigen Rückbau der von Frau Tatti auf dem Kiesbett der Terrasse ihrer EG-Wohnung verlegten Holzabdeckung verlangt.
Über die Angelegenheit ist seit August schon mehrfach in der Presse berichtet worden (6.8.2020 in der FFB SZ, 13.8.2020 im Tagblatt, Leserbrief am 10.8.2020 in der FFB-SZ, und heute wieder in der FFB-SZ, siehe die Anlage).
Ich gehe davon aus, dass Sie als Mitglieder des Gemeinderates den Fall zumindest aus der Presse bereits kennen. Nach meiner Information durch die Verwaltung wurde der Gemeinderat erst im Herbst 2017 von der Verwaltung von der Sache informiert und hat er dann den Klageauftrag gegen Frau Tatti in einer nicht-öffentlichen Sitzung erteilt (daher habe ich in meiner Zugehörigkeit zum Gemeinderat, die bis Juli 2017 dauerte, von der Sache nichts erfahren).
Ich gehe insbesondere davon aus, dass Sie wissen,

  • dass Frau Tatti seit ihrer Kindheit an einer schweren Autoimmunkrankheit leidet und sich ohne ihren elektrischen Rollstuhl nicht selbst fortbewegen kann,
  • dass Frau Tatti mit ihrem 120 kg schwerem elektrischen Rollstuhl schon zweimal in dem Kiesbett stecken geblieben ist,
  • dass es ein vom Amtsgericht Fürstenfeldbruck eingeholtes Gutachten gibt, wonach die Außenfläche der Wohnung nicht den Anforderungen der Barrierefreiheit nach DIN 18040-2 genügt, wobei es in dem Gutachten wortwörtlich heißt: „Ein Umbau war somit notwendig, damit die Beklagte die Terrasse ohne Gefährdung behindertengerecht nutzen konnte“ (Zitat aus dem Artikel in der FFB-SZ vom 06.08.2020 „Streitfall Barrierefreiheit“),
  • dass die Verwaltung geltend macht, der gekieste Teil der Terrasse sei als Gemeinschaftsfläche und als Versickerungsfläche konzipiert,
  • dass die Gemeinde keine Genehmigung zur Überbauung der Kiesfläche mit Holzdielen erteilt hat und dass die Verlegung der Dielen im Auftrag von Frau Tatti zwar durch eine Fachfirma und mit beträchtlichen Kosten (über 3.000 €), gleichwohl aber eigenmächtig geschehen ist,
  • dass monatelang Argumente zwischen den Parteien ergebnislos ausgetauscht worden sind, wobei die Gemeinde offenbar angeboten hat, den 4,58 qm großen gepflasterten Terrassenteil vor der Terrassentür von Frau Tatti um die Breite eines dort befindlichen Kanaldeckels zu vergrößern und den Rückbau der Holzkonstruktion auf Kosten der Gemeinde vorzunehmen,
  • dass am 24.09.2020, also nächste Woche, nach fast dreijährigem Rechtsstreit nun ein Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck erwartet wird.

    Vielleicht kennen Sie meinen Blog https://www.gröbenzell-faktencheck.de/ bereits. In unregelmäßigen Abständen greife ich darin parteiunabhängig politische Themen aus Gröbenzell auf. Die FFB-SZ hat darüber bereits berichtet und den Blog kommentiert, siehe Artikel und Kommentar, beides von Gerhard Eisenkolb, vom 15.04.2020, sowie Blog vom 1.5.2020.
    Letzten Donnerstag (10.9.2020) hat das BR-Magazin „quer“ von Christoph Süß über den Fall der Frau Tatti und über die Reaktion der Gemeinde mit ihrer Klage sehr kritisch berichtet:
    https://www.br.de/mediathek/video/rollstuhlfahrer-ausgebremst-was-ist-das-recht-auf-teilhabe-wert-av:5f5a8a3b49ca9300140ee9ad
    Nach meinem persönlichen Eindruck aus diesem Beitrag in „quer“ ist Frau Tatti eine Person, die ihr Schicksal mit einer bewundernswerten Haltung angenommen hat. Sie macht keineswegs einen verbitterten, verbohrten oder streitsüchtigen Eindruck. Sie wäre nach meinem Eindruck eine ganz hervorragende Botschafterin für die Belange behinderter Menschen in einer Kommune und darüber hinaus.
    Faktencheck hat sich daher entschlossen, diesen Fall aufzugreifen. Dazu soll das Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet werden. Es soll Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten nachgegangen werden, und es soll vor allem, wenn nur irgend möglich, eine schnellstmögliche Abhilfe gesucht werden.
    Daher nach einigen, auch rechtlichen Recherchen, die folgenden, sich aufdrängenden Fragen an Sie als Bürgermeister und gewählte Mitglieder des Gemeinderates:
  • Kennen Sie die folgende im Jahr 2001 in das BGB eingefügte Schutzvorschrift für behinderte Mieter:
    Paragraph § 554a BGB:
    (1) Der Mieter kann vom Vermieter die Zustimmung zu baulichen Veränderungen oder sonstigen Einrichtungen verlangen, die für eine behindertengerechte Nutzung der Mietsache oder den Zugang zu ihr erforderlich sind, wenn er ein berechtigtes Interesse daran hat. Der Vermieter kann seine Zustimmung verweigern, wenn sein Interesse an der unveränderten Erhaltung der Mietsache oder des Gebäudes das Interesse des Mieters an einer behindertengerechten Nutzung der Mietsache überwiegt. Dabei sind auch die berechtigten Interessen anderer Mieter in dem Gebäude zu berücksichtigen.
    (2) Der Vermieter kann seine Zustimmung von der Leistung einer angemessenen zusätzlichen Sicherheit für die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes abhängig machen. § 551 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.
    (3) Eine zum Nachteil des Mieters von Absatz 1 abweichende Vereinbarung ist unwirksam“
    ?

    (Quelle: http://buergerliches-gesetzbuch.net/paragraph-554a)

    Ergänzend:
  • Kann man diesen Paragraph Ihrer Meinung nach zur Lösung des Problems in diesem konkreten Fall nutzbar machen?
  • Wurden die Mitglieder des Gemeinderats auf diese Schutzvorschrift bei der Beschlussvorbereitung für den Klageauftrag durch die Verwaltung hingewiesen? (diese Frage richtet sich in erster Linie an diejenigen Mitglieder des Gemeinderats, die schon im Herbst 2017, als vom Gemeinderat der Beschluss zur Klage gefasst wurde, in dem Gremium Mitglied waren).
  • Können Sie sich vorstellen, dass die Beplankung so ausgeführt ist oder zumindest nachgerüstet werden kann, dass Regenwasser zwischen den Planken durch Ritzen versickert, sodass die Riesel-/Kiesschicht unter der Beplankung ihre Funktion als Sickerschicht behält ?
  • Wären Sie in Ihrer Funktion als Mitglied des Gemeinderats bereit, eine Lösung mitzutragen, bei der die Beplankung für die Mietdauer von Frau Tatti nicht entfernt wird ?
  • Kennen Sie den lateinischen Rechtsgrundsatz „dolo agit, qui petit quod statim redditurus est“ (mit Arglist klagt, wer auf etwas klagt, das er sofort wieder zurückgeben oder wieder zugestehen/gestatten/erlauben muss) ? Sehen Sie eine Parallele zu dieser Rückbauklage der Gemeinde? Wurde dieser Rechtsgrundsatz bei den Überlegungen für den Klageauftrag mit in Betracht gezogen ?
  • Würden Sie an einem Ortstermin teilnehmen ? Halten Sie einen solchen für sinnvoll ?
  • Befürworten Sie eine Veröffentlichung des in nicht-öffentlicher Sitzung im Herbst 2017 gefassten Gemeinderatsbeschlusses zur Erhebung einer Rückbauklage gegen Frau Tatti (inklusive Beschlussvorlage und Auszug des Sitzungsprotokolls) gemäß Art 52 Abs. 3 der Gemeindeordnung (Wegfall des Grundes für die Geheimhaltung) ?

    Faktencheck wird das Ergebnis der Befragung auf seiner website am 30.9.2020 bekannt geben. Bis zum 29.9.2020 eingegangene Antworten werden berücksichtigt und dann gespiegelt und verarbeitet. Die Recherchen von Faktencheck gehen unterdessen in alle Richtungen weiter.

    Besten Dank für Ihre Mithilfe !

    Johann Böhmer
    www.gröbenzell-faktencheck.de